Irgendwann, früher oder später, ist es einfach soweit, da will man eben rauf auf die Berge – keine Ahnung warum.
Die Namen sind schon eine Verlockung, ein Versprechen auf Schmerz, Leid aber eben auch Stolz. Namen wie Tourmalet, Galibier, Aubisque, Croix de Fer und eben Ventoux.
Im September 2015 war es dann soweit – der eigentliche Reise ins Vanoise Hochmassiv wurde mit einem etwas weiter gefassten Bogen zum Geant de Provence angereichert.
In Malaucene wurden für den kommenden Tag schnell und einfach feinste Pinarellos gemietet und ein kleiner Campingplatz in der Nähe zum Basislager auserkoren. Das Ganze lief unkomplizierter und problemloser als erwartet, da sich die gesamte Region als Mekka für Radfahrer aus Belgien, Holland, England und Deutschland herausstellte. Wo man auch hinschaut sieht man auf oder neben Rädern Passanten, die hemmungslos in engsten Team-Race-Outfits rumlaufen, als als ob sie dafür bezahlt würden.
Gestärkt durch Cafe und Croissant auf einer sonnigen Terrasse sowie letzten Einstellungen am Mietrad ging es um 09.00 Uhr in Malaucene los – schließlich stand für den Nachmittag schon die Weiterfahrt Richtung Rhonetal an. Mit 19 Grad waren insgesamt optimale Bedingungen angekündigt – auch wenn uns die 55 Km Rundfahrt auf knapp 2.000 Meter Höhe bringen sollten.
Wir hatten uns für die klassische Südrampe entschieden. Die Route begann flach mit leichten Wellen ‚gen Bedoin – es riecht und fühlt sich provenzalisch an und man verfällt automatisch in heitere fast schon mediterrane Stimmung – auch wenn der helle Gipfel des Ventoux ständig mahnt.
Die ersten anderen Radfahrer zischen rasant an einem vorbei, andere können mit leichtem kurbeln überholt werden – eins wird schnell klar: auch hier ist man nie alleine und unbeobachtet. Und die Bandbreite der Rad-Pilger ist überraschend breit gefächert: bierernste, semi-professionell anmutende, ausgezehrte (oder auch nicht) Gestalten, Familienanhänge auf Trekkingrädern, die genervt einem ächzend vorauseilenden Familienvater folgen (müssen), entspannte Senioren auf eBikes, die die gesamte Fahrt über keine Miene verziehen was gruselig anzuschauen ist und dann sind da vereinzelte Kleingruppen oder Einzelfahrer mit einem respektvollen Glitzern in den Augen.
Nach Bedoin geht es weitere 5 km relativ harmlos mit 5 Prozent bergan – und dann kommt der Wald – und mit ihm eine verdammte, gleichbleibende, einfach nicht enden wollende Steigung von immer um die 9 Prozent.
Man wird mit jedem Tritt mehr ausgesaugt und man sieht nichts außer dem trockenen Wald und Boden, und man scheint einfach nicht voran zu kommen (während E. scheinbar mühelos vorauseilt) und der Wald lichtet sich auch nicht obwohl er das doch müsste, wenn man doch Höhe gewinnt und nach der Kurve ist auch wieder nur eine weiter ansteigende Strasse, und die ist scheinbar auch noch steiler als die, auf der ich gerade eben war das ist alles was mir durch den Kopf schießt – da ist nichts mehr mit lieblicher Provence.
Aber irgendwann ist es dann aber tatsächlich soweit – und Wald öffnet sich und erlaubt nun einen freien Blick über das Geröll hinweg bis zu den Antennen des mystischen Gipfel; und wer hier keinen Energieschub bekommt, der hat kein Herz oder keinen Verstand oder nichts von beidem.
Hier auf 1.400 Metern ist dann auch das allseits bekannte Chalet Reynard – bereits im Vorfeld der Fahrt gab es mit E. einen ernsthaften Disput, ob es gestattet sei, auf der Anfahrt zum Gipfel einen Cafe einzunehmen oder nicht – glücklicherweise wurde uns die Entscheidung abgenommen: das Cafe war geschlossen. (Ich bin übrigens immer noch der Meinung, dass es gestattet ist.)
Von hier aus sind es geht es weitere 500 Höhenmeter auf den letzten 6 Km voran – aber nun verwöhnt mit der unglaublichen Aussicht aber normalerweise bestraft durch einen unnachgiebigen Mistral, der uns am heutigen Tag allerdings verschont hat. Und diesen einzigartigen Gipfelanblick kennt man zur Genüge aus klassischen TdF Übertragungen mit Simpson, Mercks, Armstrong, Pantani in den Hauptrollen, die man nun selber einnimmt.
Dann nach 1.800 Höhenmetern und 27 Km in den Beinen ist es dann soweit – man erreicht den Col, hat die letzten Kehren mit den wegelagernden Profifotografen hinter sich gelassen und steht – nun mit einem Grinsen – am höchste Punkt weit und breit. Das ist das, was der Ventoux allen anderen Cols voraus hat – nichts um einen herum ist höher. Man denkt, man sieht das Mittelmeer.
Aber auch hier ist man nicht allein – kein „Über allen Gipfeln ist Ruh“ sondern das geschäftiges Treiben der gesamten Radlerhorde sowie vereinzelten Bikern und Autofahrern – man schaut sich um, auf den Weg, den man gerade zurückgelegt hat, auf die Orte unten im Tal, die man doch vor gar nicht so langer Zeit durchfahren hat, und man freut sich für jeden der ankommt, wundert sich über sich selbst, belächelt die Autofahrer. 🙂
Und jeder will fotografiert werden, will dokumentiert sein vor dem Schild mit dem magischen Namen. Handys und Fotoapparate wechseln ständig die Hände – „Shall I take a photo of you both…“, „C’est posssible que vous…“.
Der Rest ist unspektakulär und schnell erzählt – denn nun geht es ja nur noch zurück – 27 Km bergab, was aber anstrengender ist, als man denkt. Und mit einem Mietrad, welches sich dann doch ungewohnt anfühlt, geht man die Sache doch etwas beschaulicher an, aber man genießt es, dass mit jeden Meter mit jeder Minute wärmer und wieder provenzalischer wird.
Irgendwann sind wir dann wieder in Malaucene – ein komisches Gefühl beschleicht einen – war es das? waren wir wirklich oben? Gut, dass wir die Bilder haben 😉
Wer immer überlegt, ob er den Mont Ventoux befahren soll
-> Ja! Er ist unglaublich.
Wer immer überlegt, ob er den Mont Ventoux wohl schaffen kann
-> Ja! Zur Not bleibt man halt nen Moment stehen – ist ja eben nicht die TdF 🙂 (E. sieht das anders)
Wer immer überlegt, ob er einsam am Gipfel stehen wird
-> Nö!
Weitere Infos:
http://www.quaeldich.de/paesse/mont-ventoux/profile/suedrampe-von-bedoin/
Ach ja: der Abstecher vom Vanoise Massiv führt uns über den Galibier (beschämenderweise mit dem Auto) – aber was für eine Schönheit – der kommt auf die Liste.
Schöner Bericht! Da sind die Erinnerungen an den Tag gleich wieder da. Und an die im Vanoise schon gut durchgearbeiteten Beine 🙂
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